GESCHICHTEN AM HAKEN
Fühlen Denken Erzählen, einundzwanzig Kurzgeschichten
Galerie Futura, Galerie am Storchenturm, Berlin 2006
Fühlen: schwarz, violett, blau, grün, gelb, orangen, rot
Denken: schwarz, violett, blau, grün, gelbe, orangen, rot
Erzählen: schwarz, violett, blau, grün, gelb, orangen, rot
Textprobe:
Fühlen: schwarz
Ich fühle nichts, kein Licht, keine Farben, mein Gesicht hat keine Augen, meine Haut keine Poren. Angenommen, ein winziges Gefühl würde seine Zunge ausstrecken, um ein wenig Welt zu lecken, Sinnlosigkeit verdürbe ihr den Geschmack. Ich fände nirgendwo Halt, fühlte ein typisches Nullgefühl, auch meine Gedanken wären typische Nullgedanken! Selbst Ahnungen lösten sich auf! Gegen meinen Schädel blubbert die Welt, verzweifelt suche ich nach Wörtern, finde auch welche, doch niemand hört zu. Ich bleibe allein mit meinem Gebabbel. Kein Verstehen stellt Gemeinsamkeit her. Weswegen es auch keinen Sinn macht, dass ich jetzt meinen Kopf aufstütze und geduldig auf Zuhörer warte.
Denken: grün
Angenommen, meine Ohren würden Kieselsteine in einem Bach klirren hören, meine Augen mit gelben Birnen beladene Zweige am Ufer hängen sehen, meine Füße mich ins Wasser führen, und meine Hände würden reifes Fruchtfleisch zerquetschen, dann wirbelte mein Atem zwischen den Lippen, whuhh! Ich wäre gedankenlos glücklich! Gedankenlos? Obwohl ich doch merke, wie es unentwegt in mir denkt? Na ja, die Leuchtkörperchen, die an den Synapsen in meinem Gehirn aufblitzen, sind noch keine echten Gedanken, genauso so wenig wie von Kehle, Stimmbändern, Mundhöhle und Lippen erzeugte Töne bereits Sprache sind. In meinem Kopf denkt zwar etwas, aber nur, als würde sich ein Orchester erst einstimmen … mit platzenden Bläschen aus Posaunen, Hörnern und Trompeten, leisem Grummeln auf einer Pauke, zaghaften Luftwirbeln, sowohl aus Flöten- Fagott und Oboenhölzern, als auch von gezupften Stahl- und Darmsaiten. Währenddessen stehe ich im kalten Bachwasser und warte auf den Dirigenten, der meine Stimmen als geordnete Partitur lesen kann, damit die Musik endlich erklingt. Das heißt nicht, dass nur denkt, wer musiziert! Oder umgekehrt! Auch Tiere haben Gedanken. Allerdings geht menschliches über tierisches Denken ein wenig hinaus, weil es sich in Sprache ordnet und mitteilt. Sprache verändert die für unsere Art vorgegebene Wirklichkeit, sodass wir sie nach unseren Bildern formen können! Und zerebrale Zweitwohnungen schaffen können! Imaginäre Räume, in denen es leider nicht immer wirklichkeitsbezogen zugeht, in denen es sogar spuken kann, sodass Geister herrschen, die Unheil stiften! Scheiße! Jetzt ist es mir tatsächlich gelungen, mir meine gute Bergbachlaune zu verderben!